„Wessen Schuld war das?“ „Du bist Schuld!“ „Jetzt hab ich also die Schuld?“ „Immer bin ich Schuld!“ Warum ist es für viele Menschen so wichtig zu klären, wer der schuldige ist? Vermeintlich stehen dann die Seiten fest. Der eine hat Recht und der andere ist schuldig. Doch ist es damit getan? Ein schlechtes Gefühl bleibt. Und das sogar auf beiden Seiten.
Achtung Ausnahme!
Natürlich gibt es Schuld. Bei Gewaltverbrechen und Straftat gibt es eindeutig Schuldige. Davon möchte ich hier nicht schreiben. Mir geht es um die Schuldzuweisungen bei (meist privaten) Gesprächen, in Beziehungen. Für viele Menschen ist es wichtig, in Streitsituationen einen Schuldigen zu finden und so den Streit vermeintlich zu beenden. Weil, wenn einer schuldig ist, muss er sich endschuldigen und so Frieden stiften. Damit schiebt der andere die Schuld zum anderen und ist frei. Ist er das?
Entstehung von Schuld – ein Erklärungsversuch
Oft haben wir bereits im Kindesalter gelernt, dass wir uns für unsere Taten entschuldigen müssen. Für Eltern ist es meist einfacher dem Kind die Schuld an der Situation zuzuschreiben und sie damit in eine demütige Haltung zu bringen. Bei Streitigkeiten unter Kindern wird immer nach einem Schuldigen gesucht. Wer hat angefangen? Viele sind also von klein auf so konditioniert und machen das genau so weiter.
Worum geht es also bei der Schuldfrage? Um Recht und Unrecht? Um Macht und Ohnmacht. Vielen Menschen ist es sehr wichtig, das klar zu klären. Dann wird mit dem Finger auf den anderen gezeigt: „Du hast Schuld an dem Ganzen!“ Der eine bleibt als vermeintlicher Sieger zurück und der andere hat Schuldgefühle. Aber geklärt ist damit gar nichts. Es bleibt immer etwas zurück und diese Beziehung ist nicht auf Augenhöhe.
„Du hast mir das angetan!“ Das klingt nicht nur wie eine Bedrohung, es ist eine klare Kampfansage. Die Schuld wird komplett auf den anderen geschoben. So brauchen wir nicht über uns und unsere Angst nachdenken. Nach dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung. Doch gerade für Beziehungen ist es so wenig kommunikativ und zielführend. So entsteht immer eine Klassifizierung, die einer gleichberechtigten, ausgeglichenen Beziehung im Weg steht.
Schuld, die Jahre hält…
Hier einen kleinen Ausflug in ein ganz persönliches Erlebnis. Vor Jahren ist mir ein sehr grober Fehler passiert. Ich habe einem Freund sehr weh getan. Ich übernahm Verantwortung, ging offen damit um und entschuldigte mich bei den Beteiligten. Doch leider wurde mir nicht verziehen. Daher gab es einen Beziehungsabbruch, was mich sehr belastete, denn der Mensch bedeutete mir sehr viel.
Jahrelang blieb ich dran und versuchte, den Kontakt wieder aufzubauen. Und siehe da, es gelang. Ich war sehr glücklich. Was jedoch blieb war das Gefühl, für meine Schuld büßen zu müssen. Ich ging also immer in die defensive Haltung und versuchte bloß kein Fehler zu machen. Mein Gegenüber spürte das und nutzte das für mich gefühlt aus. So blieb ich schuldig. Meine Schuldgefühle haben dementsprechend lange angehalten. Und ich habe mich zum Märtyrer gemacht und machen lassen.
Irgendwann (nach gefühlt langer Zeit) platzte mir dann der Kragen, als es eine Situation gab, die einfach zu weit ging. Ich war so wütend. Genau diese Wut habe ich gebraucht, um aus meinem Schuld-Dilemma zu kommen. Ich habe versucht eine Aussprache zu führen und als das nicht gelang, habe ich diese Beziehung, die keinerlei Augenhöhe mehr hatte, beendet.
Wie gelangen Sie aus dem Schuld-Dilemma?
Ja, es geht um Macht und Ohnmacht. Eine Seite braucht das Gefühl, mächtiger zu sein, indem er/sie nicht schuldig ist. Hierbei sind es sowohl Frauen als auch Männer, obwohl oft Frauen das Gefühl von Schuld und schuldig sein zugeschoben wird. Sie begeben sich aber auch selbst häufiger in dieser Position, weil es leichter erscheint.
Aber auch für den vermeintlich Unschuldigen fühlt es sich irgendwie nicht richtig an. Man ist zwar die Schuld los, doch das Problem ist damit nicht gelöst. Meist fühlen sich Beide nicht wohl und merken, dass es so nicht weitergeht und sie auf eine Entzweiung zusteuern. Das ist also keine Lösung.
Menschen, die sich für ständig und für alles schuldig fühlen, neigen dazu, ständig im Rückzug zu sein. Sie neigen dazu, die Verantwortung für alles zu übernehmen, selbst wenn sie mit dem, was passiert ist, nichts zu tun haben. Dementsprechend werden sie jeden Vorwurf der Schuld akzeptieren, weil sie ein geringes Selbstwertgefühl haben. Das macht es auch anderen leicht, ihnen die Schuld zu geben. Der Umgang mit diesen Menschen ist äußerst schwierig. Am Liebsten möchte man sie schütteln und sagen, „Machen Sie Ihren Rücken gerade, Sie haben keine Dauerschuld!“
Reflexion ist die Lösung
Schuld gibt es nicht (außer Ausnahmen s.o.). Es gibt nur verschiedene Sichtweisen, ungeschickte Handlungen und dadurch Missverständnisse. Niemand muss für beide Seiten die volle Verantwortung übernehmen. Beide Seiten haben zum Konflikt beigetragen, haben ihren Anteil. Vielleicht hilft Ihnen dieser Blick auf die Streitigkeiten, um etwas ändern zu können.
Betrachten Sie die Situation doch einmal in Ruhe und mit etwas emotionalem Abstand.
- Was hat zur Situation geführt?
- Welchen Auslöser hat es gegeben?
- Ist das, was ich über die Situation denke wirklich wirklich wahr?
- Was habe ich dazu beigetragen? (eigenen Anteil)
- Warum hat mein Gegenüber so reagiert?
- Was könnte in meinem Gegenüber vorgegangen sein?
Wenn Sie ehrlich mit sich sind, werden Sie schnell sehen, wie auch Sie durch Ihr Verhalten zur Zuspitzung der Situation beigetragen haben. Manchmal gibt es emotionale Ausnahmezustände, die einen nur noch handeln lassen. Dieser Aktionismus bringt aber meist keine Lösung sondern eher eine Verschärfung des Konflikts. Sehen Sie genau hin, was können Sie beim nächsten Mal anders oder sogar besser machen? Wie können Sie Emotionalität aus der Situation nehmen?
Und selbst, wenn wirklich Sie mal allein an der Situation „Schuld“ sind, dann können Sie das zugeben und sich dafür entschuldigen. Fehler sind dafür da, gemacht zu werden. Sie sind nicht schlimm, wenn man daraus lernt. Aber bitte mit einer selbstbewußten Haltung, denken Sie an das Thema Selbstliebe. Es geht also darum, in angemessener Weise Verantwortung zu übernehmen. Ihr Gegenüber wird das sicher positiv überrascht anerkennen. Am besten ist es also, den begangenen Fehler als Gelegenheit zu sehen, es beim nächsten Mal anders zu machen.
Um den Kreislauf von Schuld und Unschuld zu beenden, ist es wichtig, dass beide Seiten das Dilemma verstehen. Und das beide Seiten diese Situation beenden wollen. Es geht um die Suche nach Lösungen, anstatt sich auf das Problem zu konzentrieren. Auch hier gilt wieder einmal: Love it, leave it or change it. Wer es also verändern möchte, sollte ins Gespräch gehen. Gibt es keine Basis für eine Klärung, weil sich der vermeintlich „Schuldfreie“ im Recht sieht, ist auch das eine Entscheidung. Und Sie wissen, was zu tun ist.